Wellenkraft
Wellen nutzen
Unaufhörlich rollen sie an die Küsten – die Meereswellen. Schon lange suchen Wissenschaftler und Ingenieure nach einer Möglichkeit, diese unerschöpfliche Energiequelle zu nutzen. Jedes neue System, das in Betrieb geht, wird von der Fachwelt aufmerksam beobachtet. Wie zuletzt die „Oyster“: Seit November 2009 produziert die Flachwasserkraftanlage an den schottischen Orkneyinseln Strom. Die Wirkungsweise der „Auster“ ist simpel: Wie eine riesige Muschel oder ein Blasebalg klappt das 18 Meter lange Gerät bei jedem Wellengang auf und zu. Der „Muscheldeckel“ allein ist zehn Meter hoch und über ein gewaltiges Scharnier mit der Bodenplatte verbunden. Durch seine Bewegung wird Wasser mit hohem Druck über eine unterirdische Leitung ins Turbinenhaus an Land gepumpt. Dort treibt es eine hydroelektrische Turbine an, die eine Kapazität von 315 Kilowatt hat. Das reicht, um 450 Haushalte mit Strom zu versorgen.
Den Wellen gewachsen
Damit die „Oyster“ nicht davontreibt, ist sie in 15 Metern Tiefe am Meeresboden fest verankert. Sie ist auch so konzipiert, dass sie auf die verschiedenen Wellenstärken reagieren kann. Sollten die Wellen einmal allzu kraftvoll anrollen, wird die Klappe der Muschel – ihrem natürlichen Vorbild ähnlich – näher an die Plattform gedrückt, so dass die Brecher über das Kraftwerk hinwegrollen und ihm keinen Schaden anhaben können. Die „Oyster“ ist aber keineswegs die einzige Wellenkraftanlage, die einen gewissen Erfolg verspricht. Seit Jahren tüfteln Ingenieure an effizienten Wellenkraft-Anlagen. Sie arbeiten dabei mit ganz unterschiedlichen Prinzipien...
Viele, viele Ideen
Es gibt Wellenkraftwerke, bei denen die Wellen so in Betonkammern geleitet werden, dass sie dort als eine sich hebende und senkende Wassersäule eine Turbine antreiben (Oscillating Water Column). Bei anderen werden die Wellen über eine Rampe in ein über dem Wasserspiegel hängendes Speicherbecken gelenkt, um dann von oben aus auf eine Turbine zu „fallen“ (Wave-Dragon-Technologie). Wieder andere sehen aus wie gigantische Seeschlangen: eine Kette von Bojen wird durch Wellen in eine schlangenförmige Bewegung versetzt; eine Hydraulik macht die Bewegung nutzbar. Der große Vorteil sämtlicher Systeme ist, dass die Wellenaktivität viel beständiger ist als andere Energiequellen. In Schweden hat man beispielsweise ausgerechnet, dass die Sonnenenergie dort jährlich für etwa 1.000 Stunden, die Windenergie rund 2.200 Stunden genutzt werden kann. Wellenkraft bringt es auf 4.000 Stunden pro Jahr.
Geringe Energiedichte
Auch wenn die Energiegewinnung aus der Wellenkraft verheißungsvoll klingt: „Die kleinen Leistungen bei den großen geometrischen Abmessungen wie zum Beispiel bei der „Oyster“ zeigen, wie verhältnismäßig gering die Energiedichte im Meer ist“, sagt Prof. Dr. Hermann-Josef Wagner vom Lehrstuhl für Energiesysteme und Energiewirtschaft der Ruhr-Universität Bochum. Denn: Die Energie, die aus einem Kubikmeter Meerwasser gewonnen werden kann, ist im Verhältnis zur Masse gering, weil man allein Bewegung des Wassers nutzen kann. „Um bezahlbaren Strom in Dimensionen erzeugen zu können, müssten entsprechend große und viele Anlagen, die robust und wartungsarm sind, gebaut werden.“ Gebaut wird dennoch. 2011 soll an der schottischen Küste ein Wellenkraftwerk mit einer Kapazität von bis zu vier Megawatt Strom den Betrieb aufnehmen – so viel wie eine große Windenergieanlage.